Die Ruhrfestspiele Recklinghausen waren am 10. Juni zu Gast in der Aula des Max Born Berufskollegs.

Das Deutsche Theater Berlin, das im Rahmen der Ruhrfestspiele in Recklinghausen gastierte, führte das Stück „Corpus Delicti“ von Juli Zeh, inszeniert von Robert Lehniger, auf.

Die Inszenierung wurde speziell für die Schule entwickelt. Aufgrund der Maßnahmen im Zuge der Corona-Pandemie fand die Aufführung in der Aula statt und nicht im Klassenzimmer. Maskenpflicht, Mindestabstand und Hygieneregelungen wurden spielerisch mit einbezogen.

Aktualität und multimediale Inszenierung

Durch die aktuelle Covid19-Pandemie hat der Roman von Juli Zeh wieder verstärkt Aufmerksamkeit erfahren. Seine Beschreibung einer Gesundheitsdiktatur liefert einen guten Start in Betrachtungen der Jetztzeit.

Die zentralen und sehr aktuellen Themen in der Aufführung sind daher Themen wie Gesundheit, staatliche Maßnahmen in der Pandemie, Corona-Leugner*innen, menschliche Vernunft, Dystopien, Big Data und Überwachung. Und „Corpus Delicti“ ist ein Roman, der sich inhaltlich vor allem mit der durch die immer perfekter werdenden technischen Instrumente der staatlichen Überwachung des Individuums auseinandersetzt.

Diese Fragestellungen wurden zugleich durch die besonders ausgeklügelte multimediale Inszenierung der Geschichte für die angehenden Abiturientinnen und Abiturienten, die sich im Deutschunterricht und im Literaturkurs mit dem Roman beschäftigt hatten, besonders erlebbar und nachfühlbar gemacht.

Worum geht es im Roman?

Juli Zeh beschreibt in ihrem Roman eine Gesundheitsdiktatur, die ihren Bürgern ein gesundes und langes Leben ermöglichen will. Zur Erreichung des Ziels kontrolliert der Staat die Lebensführung jedes Einzelnen. Die Bürger haben umfassende Reglementierung und Überwachung sowie Verzicht auf jegliche Lebensfreude in Kauf zu nehmen, ungesunde Lebensweise wird unmittelbar bestraft.

Die Protagonistin Mia Holl ist eine vorbildliche Bürgerin und befolgt die staatlich eingesetzte „METHODE“.  Sie reicht ihre Gesundheitsdaten regelmäßig ein, hat sich als Naturwissenschaftlerin der Vernunft verschrieben und versucht, den im Gegensatz zu ihr sorglosen, leichtsinnigen und freiheitsliebenden Bruder immer wieder auf die richtige Bahn zu lenken. Doch als dieser sich das Leben nimmt, weil er seine Unschuld nicht beweisen kann, verliert Mia den Boden unter den Füßen. Was zunächst harmlos als ein klärendes Gespräch mit der doch sonst linientreuen Mia mit den Behörden startet, verwandelt sich mehr und mehr in eine Hexenjagd. Mia wird zu einer leidenschaftlichen Widerstandskämpferin. Sie prangert an, dass ein System, das sich nur um das Leben kümmert, nicht mehr lebenswert ist.

Das Besondere ist die Inszenierung des Stückes.

Das Stück, das von Robert Lehniger als multimediale Reise inszeniert wurde, ermöglicht den Schülerinnen und Schülern anhand einer interaktiven Materialmappe bereits vor der Aufführung die Welt von Corpus Delicti kennenzulernen.

Mithilfe einer App wird man an die Diktatur herangeführt, um die dystopische Welt verstehen zu können, in der die Protagonistin Mia Holl lebt, eine wohlerzogene Bürgerin, kontrolliert von dem Gesundheitssystem „Methode“.

Anhand dieser App konnten die Jugendlichen zusätzlich Propagandavideos anschauen und rauchende Mitschüler denunzieren. Umfragen gaben zudem vor, ein individuelles Gesundheitsprofil zu erstellen, zu dem sie wie bei einem Persönlichkeitstest eine schriftliche Auswertung erhielten.

Die Auswertung der App zeigt meistens, wer strategisch um Punkte gespielt hat und wer versucht hat, ehrliche Antworten zu geben oder sich Aufgaben und Fragen zu verweigern, die als übergriffig wahrgenommen wurden, so die Erfahrung der Schauspielerinnen und Schauspieler.

Auch in der Aufführung selbst haben die Darstellerinnen und Darsteller des Deutschen Theaters Berlin stark multimedial gearbeitet. Eine Schauspielerin, ein Schauspieler und vier Tablets zogen die Schülerinnen und Schüler vor Ort in Mia Holls Fall hinein. Auf diese Weise begegneten sie den Figuren aus der Materialmappe wieder: Analog im Raum und per Videoscreen.

Durch die Verknüpfung von versetztem Ton, Musik und dem Wandern der Schauspieler vom einen ins andere Tablet, wurde die Technik als starkes Element genutzt. Die Richterin ist beispielsweise per Video zugeschaltet und spricht ihr Urteil übers iPad in die Aula.

Durch diese Vorgehensweise „erlebten“ die Schülerinnen und Schüler hautnah, was Juli Zehs Geschichte so erschreckend aktuell macht. 

Abschließende Diskussion

Als Abschluss der Aufführung standen viele anregende Fragen zur Diskussion mit den Darstellerinnen und Darstellern, die auch im Materialheft zur Aufführung in Schulen zu finden sind:

  • Inwieweit wurden die Inhalte auf die aktuelle Krise bezogen?
  • Was denken die Schülerinnen und Schüler über Corona-Leugnerinnen und -Leugner und deren Beweggründe?
  • Woher kommt die Angst in diesen Zeiten vor Überwachung (z.B. die breite Debatte um die Corona-Warn-App) und Lenkung (z.B. die 5G-Verschwörungshypothese, nach der wir über den Impfstoff per Microchip steuerbar werden)?
  • Wie weit darf ein Staat die technischen Möglichkeiten zur Sicherheit der Bürger ausschöpfen?
  • Und: Fitness- und Gesundheitswahn – Erlegen wir uns selbst die „METHODE“ auf?

Für die Schülerinnen und Schüler des Max Born Berufskollegs stand zu guter Letzt auch die Frage im Raum, wo bei all dem eigentlich noch die Freude am Leben bleibt.